Muskelabbau bei Trainingspause: Das passiert wenn du nicht trainierst
- Toni Müller
- vor 16 Stunden
- 6 Min. Lesezeit
Jeder kennt das Gefühl: Die Trainingsroutine stockt – sei es aus Zeitmangel, Krankheit oder Verletzung. Aber bedeutet das gleich ein Ende aller Fortschritte? Nicht unbedingt. Fang also an – und halte gespannt durch, denn was folgt, ist ein Mikado aus Fakten, Studien und kraftspendenden Impulsen, die garantiert Lust machen, bis ans Ende zu lesen.

1. Wann beginnt der Muskelabbau wirklich
Die Frage, die sich fast jede:r Sportler:in irgendwann stellt: „Wie lange dauert es, bis ich meine hart erarbeiteten Muskeln verliere?“
Die Wahrheit: Der Körper ist erstaunlich effizient. Schon nach wenigen Tagen Trainingspause passt er sich an die neue Situation an. Aber: Muskelabbau beginnt nicht sofort – die Prozesse laufen stufenweise ab.
Nach 48–72 Stunden: Erste Anpassungen finden statt. Das Nervensystem reduziert die Aktivierung der Muskelfasern leicht. Viele merken in dieser Phase noch gar nichts, weil die Leistung kaum sinkt.
Ab Tag 5: Studien zeigen, dass die Muskelprotein-Synthese – also der Aufbauprozess von Muskelgewebe – deutlich zurückgeht (McLoughlin et al., Journal of Physiology, 2021). Gleichzeitig beginnt der Abbauprozess (Proteolyse) langsam die Überhand zu gewinnen.
Woche 2 (Tag 8–14): Jetzt wird es kritisch. Hier setzt echte Muskelatrophie ein. Der Muskelfaserquerschnitt beginnt sich messbar zu verkleinern (Narici & de Boer, Journal of Physiology, 2011). Das bedeutet: Der Muskel selbst wird sichtbar kleiner – und die Kraftverluste sind nicht mehr nur neurologisch, sondern auch strukturell.
Nach 14 Tagen: Untersuchungen zeigen, dass bis zu 3–5 % Muskelquerschnitt verloren gehen können – abhängig von Ernährung, Trainingslevel und Alter. Besonders schnell betroffen sind die „schnellen Muskelfasern“ (Typ II), die für Kraft und Explosivität zuständig sind.
👉 Fazit: Der Abbau startet leise, aber spürbar wird er nach 1–2 Wochen. Wer clever gegensteuert, kann aber viel retten (dazu gleich mehr).

2. Die Rettung naht: Protein als kraftvoller Schutz
Wenn du dir in einer Pause nur eine Stellschraube merken möchtest, dann diese: Protein ist dein Schutzschild gegen Muskelabbau.
Warum? Muskeln bestehen aus Proteinstrukturen (Aktin, Myosin). Damit sie erhalten bleiben, braucht der Körper eine konstante Versorgung mit Aminosäuren. Bleiben diese aus, greift er auf körpereigene Reserven zurück – sprich: Muskeln.
Studien liefern hier erstaunlich klare Zahlen:
Low-Protein-Gruppe (~0,5 g/kg Körpergewicht): In einer Untersuchung verloren Teilnehmer nach 14 Tagen Pause 1,4 % Muskelmasse.
High-Protein-Gruppe (~2 g/kg Körpergewicht): Unter denselben Bedingungen lag der Verlust nur bei 0,4 % – also fast 70 % weniger Abbau (Pasiakos et al., FASEB Journal, 2013).
Das bedeutet: Allein durch eine höhere Eiweißzufuhr kannst du den Muskelabbau massiv abfedern, selbst wenn du zwei Wochen überhaupt nicht trainierst.
👉 Praktische Umsetzung:
1,6–2,2 g Protein pro kg Körpergewicht pro Tag gelten in der Sportwissenschaft als optimal (Morton et al., British Journal of Sports Medicine, 2018).
Verteile dein Protein gleichmäßig über den Tag, idealerweise auf 3–5 Mahlzeiten.
Besonders wirksam sind leucinreiche Quellen wie Whey, Fleisch oder Fisch, da Leucin ein Haupttrigger der Muskelproteinsynthese ist.
Kurz gesagt: Trainingspause + Proteinreich essen = Muskelschutz auf hohem Level.
3. Studien zeigen: Muskelkraft hält länger – und kehrt schneller zurück
Das vielleicht Wichtigste: Nur weil du eine Pause einlegst, verlierst du nicht automatisch all deine Kraft.Denn: Der Körper hat ein geniales „Gedächtnis“.
Eine Studie im Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports (Ogasawara et al., 2013) verglich zwei Gruppen:
Gruppe A trainierte 24 Wochen durchgehend.
Gruppe B trainierte 6 Wochen, pausierte 3 Wochen, trainierte wieder – und wiederholte dieses Muster.
Ergebnis: Beide Gruppen hatten nach 24 Wochen nahezu identische Zuwächse in Kraft und Muskelmasse. Die Pausen bremsten den Fortschritt also nicht aus – im Gegenteil, sie wirkten sogar wie ein Reset und beugten Überlastung vor.
Und auch nach längeren Pausen sieht es gut aus:
In einer Studie mit 24 jungen Männern führte eine 10-wöchige Pause zwar zu leichten Verlusten in Muskelquerschnitt und Kraft, aber nach nur 5 Wochen Wiedereinstieg waren die alten Werte komplett zurück (Staron et al., Journal of Strength and Conditioning Research, 1991).
Grund dafür ist das Phänomen der Muscle Memory: Durch frühere Trainingsanpassungen (z. B. zusätzliche Zellkerne in Muskelfasern – die sogenannten Myonuklei) kann der Körper beim Wiedereinstieg wesentlich schneller Muskeln aufbauen als beim allerersten Training (Bruusgaard et al., PNAS, 2010).
👉 Übersetzt heißt das:
Ja, es gibt Verluste.
Aber: Dein Körper „erinnert“ sich an das Training und baut Muskelmasse und Kraft viel schneller wieder auf, als du sie ursprünglich aufgebaut hast.
Oder anders: Eine Pause wirft dich nicht zurück auf Null – du startest mit Vorschuss.

4. Muscle Memory & Myonuklei: Warum dein Körper sich an „stark“ erinnert
Kurz gesagt: Dein Muskel hat ein Gedächtnis. Wer einmal solide aufgebaut hat, kommt nach Pausen schneller wieder in Form als absolute Anfänger — und das ist biologisch gut erklärbar.
Myonuklei bleiben erhalten. Beim Muskelaufbau werden zusätzliche Zellkerne (Myonuklei) in die Muskelfasern eingebaut. Tier- und Zellmodelle zeigen: Diese neu gewonnenen Myonuklei gehen beim Detraining nicht verloren. Heißt: Auch wenn der Muskel etwas schrumpft, bleiben die „Produktionszentralen“ für Protein in vielen Fällen da und beschleunigen den erneuten Aufbau. PubMed
Epigenetisches Muskelgedächtnis. In Humanstudien sieht man zudem, dass sich die DNA-Methylierungsmuster in trainierten Muskeln so verändern, dass Gene, die Wachstum begünstigen, später schneller wieder „anspringen“. Bei einem Lade-Pause-Reloading-Design zeigte sich nach der zweiten Aufbaufase eine stärkere Hypomethylierung (vereinfacht: leichter anschaltbare Gene) als nach der ersten — ein Hinweis auf epigenetische Memory-Effekte. Reviews sprechen inzwischen klar von einer „epigenetischen Erinnerung“ der Skelettmuskulatur. NaturePMC
Was das praktisch bedeutet:
Nach Pausen reagierst du schneller auf Trainingsreize (Kraft & Masse kommen zügiger zurück).
Deshalb lohnt es sich, vor Pausen (Urlaub, Projektstress) bewusst einen Mini-Mesozyklus mit sauberem Volumen und Technik zu setzen: Du „prägst“ Myonuklei/Genaktivität, von der du beim Wiedereinstieg profitierst. (Und ja: Das funktioniert auch ohne Maximalgewichte.) ScienceDirect
5. Wie schnell geht’s bergab? (Es kommt darauf an, wie sehr du pausierst.)
Nicht jede Pause ist gleich. Entscheidend ist, ob du immobilisiert bist (Bettruhe), radikal weniger Schritte machst oder „nur“ kein Krafttraining absolvierst.
A) Immobilisation (z. B. strikte Ruhigstellung) Hier geht es am schnellsten bergab, vor allem im Quadrizeps: Mehrere Arbeiten zeigen nach 14 Tagen Immobilisation ~6–9 % weniger Muskelvolumen — deutlich sichtbar und spürbar. Ältere sind stärker betroffen als Jüngere. PubMedScienceDirectPMC
B) Schritt-Reduktion (z. B. 10.000 → ~1.300 Schritte/Tag, 2 Wochen) Keine Ruhigstellung, aber viel Sitzen: Schon nach 14 Tagen sinken Insulinsensitivität, VO₂max und Bein-Lean-Mass, parallel wird die postprandiale Muskelproteinsynthese gedämpft (anabole Resistenz). Kurz: Der Stoffwechsel kippt, Muskelerhalt wird schwerer. PubMed+2PubMed+2
C) Reines „Nicht-Krafttrainieren“ (ohne Immobilisation)
Bei kurzer Pause ≤4 Wochen bleiben Muskelgröße und Kraft häufig relativ stabil; Einbußen sind moderat und betreffen oft zuerst Explosivkraft/Power (neuromuskulär). Reviews und Metaanalysen berichten typischerweise ~5–15 %Kraftverlust bei längerem Detraining; Größe fällt langsamer. FrontiersScienceDirect
Takeaway: Immobilisation ist der Turbo für Atrophie. Schritt-Reduktion ist der stille Saboteur. Eine normale Trainingspause ohne Immobilisation ist viel weniger dramatisch, besonders wenn Ernährung und Alltagsbewegung passen. PubMed

6. Fit zurück: So steuerst du eine Pause (und die Zeit danach) clever
Du willst in der Pause maximal viel Substanz retten und danach schnell wieder oben auf sein? So geht’s — evidenzbasiert.
6.1 Ernährung: Protein als Sicherheitsgurt
Zielbereich: 1,6–2,2 g Protein/kg KG/Tag. 1,6 g/kg decken in Meta-Analysen den Großteil der Effekte ab; wer auf Nummer sicher gehen will (hohes Trainingsniveau/Defizit), plant Richtung 2,0 g/kg. British Journal of Sports MedicinePubMedPMC
Verteilung: 3–5 „Protein-Mahlzeiten“/Tag (25–40 g/Portion, leucinreich) halten die MPS-Impulse hoch.
6.2 Bewegung: Wenig ist besser als nichts — und oft reicht sehr wenig
Schritte hochhalten: Vermeide den Absturz auf <1500 Schritte/Tag. Schon 2 Wochen Step-Drop verschlechtern Insulinsensitivität und reduzieren Bein-Lean-Mass. Plane bewusste Bewegungs-Snacks (Walks, Treppen, kurze Mobility-Blöcke). PubMed+1
Minimal-Training (Maintenance Dose):
Jüngere erhalten Hypertrophie oft mit stark reduzierter Wochen-Dosis (z. B. 1/3 Volumen, 1×/Woche); Ältere brauchen etwas mehr (z. B. 2 Reize/Woche), um Größenverluste zu vermeiden — Kraft bleibt dennoch meist gut. PubMed
Ultra-Low-Frequenz nach Aufbauphase: Selbst 1 Einheit alle 14 Tage konnte in einer aktuellen Studie ~90–95 % der zuvor erarbeiteten Kraft/Masse/Ausdauer über 3 Monate konservieren — vorausgesetzt, die Einheit ist intensiv & hinreichend volumig. MDPI
Low-Load-Optionen (Körpergewicht/Bänder) bis nahe ans Versagen können die MPS anheben, wenn Studiozeit fehlt. Physiological Reviews
6.3 Wiedereinstieg: Schnell, aber clever
Woche 1–2: Technik & RPE steuern, 2–3 Ganzkörpersessions, moderates Volumen, kurze Pausen. Ziel: neuromuskuläre Reaktivierung ohne unnötigen Muskelkater.
Woche 3–5: Volumen schrittweise erhöhen, eine schwere Hauptübung/Sitzung, Rest „smart“ (Cluster-Sätze, Autoregulation).
Erwartungsmanagement: Durch Muscle Memory (Myonuklei + Epigenetik) kommen Kraft/Masse schneller zurück als beim ersten Aufbau. Plane die Progression selbstbewusst — aber nicht übermütig. PubMedNature
6.4 Speziell für 60+
Priorisiere 2×/Woche Ganzkörper-Kraft (Grundübungen), Protein ≥1,2–1,6 g/kg, viel NEAT (Spaziergänge/Alltag). Unserer Efrahung nach empfehlen wir klare, progressive Reize — auch im Alter.
Fazit
Muskelabbau bei Pause ist kein Zauberverlust – sondern steuerbar:
Früh einsetzender Abbau? Ja – aber aufhaltbar!
Protein = Muskel-Retter nummer eins.
Muscle Memory & Myonuklei sichern Rückkehrschancen.
Pause ≠ Stillstand. Mit cleveren Strategien läufst du schneller wieder ein.
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